Inhalt der Printausgabe

Juli 2006


Humorkritik
(Seite 3 von 8)

Beflügelte Krankenhaus-Sitcom
Neue komische Formen zu finden ist schwierig. Der Vorrat an Formaten und Stilmitteln ist endlich, komisches Können beweist sich oftmals eher darin, altbekannte Formate geschickt zu nutzen, als neue Formate zu erfinden. Nichtsdestoweniger hat die britische Sitcom »Green Wing« dieses Kunststück versucht, und siehe da: Die erste Comedy-Soap ist nicht nur gut, sondern ausgezeichnet, nämlich mit einem Bafta Award, also einem britischen Oscar.
Völlig zu Recht, denn das Prinzip der Seifenoper funktioniert auch als Comedy überraschend gut: Man nehme eine Handvoll Krankenhaus-Mitarbeiter mit mehr oder weniger unterhaltsamen Charakterstörungen, bringe sie in unterschiedlichen Konstellationen zusammen und warte darauf, daß sich komische Situationen ergeben. Und das tun sie: Wenn sich die junge Ärztin Caroline Todd zwischen dem großspurigen wie unsicheren Anästhesisten Guy Secretan und dem charmanten, aber distanzierten Chirurgen Macartney entscheiden muß; wenn der stets haspelnde und stotternde Hochgeschwindigkeitsneurotiker Dr. Statham als einziger im Krankenhaus glaubt, seine groteske sexuelle Beziehung zur Personalleiterin Joanna Clore sei unentdeckt geblieben; und wenn der mausgesichtige Arzt im Praktikum Martin Dear bei den ewigen Rivalitäten zwischen Macartney und Secretan jedes Mal den kürzesten zieht.
Daß die Produzenten das Soap-Format genau kennen und damit spielen, fällt aber zunächst weniger auf als die ungewöhnliche Inszenierung: »Green Wing« ist überwiegend mit einer Kamera und in extrem langen Einstellungen gedreht, zwischen den Dialogen werden Filmsequenzen beschleunigt oder verlangsamt, und das Ergebnis wird mit einem korrespondierenden Musik-Score zu etwas verdichtet, das eher an ein sehr eigenwilliges Ballett erinnert: ein Reigen von Gesten und Gebärden, eitel wehenden Kitteln, nervös fuchtelnden Zeigestäben, stolzierenden Jungärzten und frustriert trottenden Verwaltungsangestellten. Diese unkonventionelle Bildsprache muß der Zuschauer erst mal entschlüsseln. Doch das lohnt sich allemal, denn sie erlaubt eine ungemeine Bereicherung des Ausdrucks: Sie charakterisiert die Figuren und ihre Körpersprache sehr präzise und erlaubt es, komprimiert zu zeigen, was vor und nach einzelnen Situationen passiert. Und sie hilft, so Victoria Pile, die sich das alles ausgedacht hat, wenn mal ein Schauspieler seinen Text vergißt. Kaum zu glauben, daß das je passiert ist, denn das Ensemble (u.a. Tamsin Greig aus »Black Books«, Mark Heap aus »Spaced« und Oliver Chris aus »The Office«) geht so in seinen Rollen auf, daß ein Gutteil der Show als Improvisation gedreht wurde.
»Die innovativste Serie seit, nun ja: ›The Office‹«, schwärmte der Guardian, und in der Tat: Seit dem pseudodokumentarischen Ansatz zu einer Sitcom, wie ihn neben »The Office« auch Larry David mit »Curb Your Enthusiasm« pflegt, ist nichts ähnlich Maßstabsprengendes unternommen worden. Die zweite und vermutlich letzte Staffel »Green Wing« ist in England vor Monatsfrist ausgelaufen, ein schön gestaltetes DVD-Set der ersten ist parallel dazu erschienen und kann und sollte auch von Ihnen umgehend geordert werden.

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg